Heilig Abend

 

Es ist Heilig Abend in Australien. Gute neun Stunden früher als er in der Schweiz gefeiert wird. Nach über 500 km Tagesfahrt haben wir uns an der Fitzgerald Bay, einem kostenlosen Campground in der Nähe von Whyalla SA mit Blick auf die blaue Bucht, zur Ruhe gesetzt. Es war eine lange Tagesfahrt bis hierhin. Gestartet waren wir am Lake Gairdner Salzsee, den einsamen kostenlosen Campground hatten wir nur mit dem heftigen, eher kühlen Wind geteilt. Den riesigen Salzsee, nordöstlich von Port Augusta, erreichten wir gestern nach langer Schotterfahrt durch den wunderschönen Gawler National Park. Unser Weihnachtsessen war einfach, doch fein. Salat mit frischen Cherrytomaten und Gurken. Cracker und Käse rundeten die Hauptmahlzeit ab. Blueberry Muffin und ein Tim Tam Double Cream zum Dessert.

 

Sechs andere Camper haben sich ebenfalls auf dem kleinen Campground für Heiligabend installiert. Der Campground ist etwa 300 Meter lang, ein einfacher Sandstreifen der Bucht entlang gezogen.

 

Kein Laut ist vom Nachbarn zu vernehmen, wie meist auf den Campingplatzen in Australien wird alles mit viel Ruhe und wenig Hast erledigt. Man hat Zeit, geniesst, lauscht und respektiert Umgebung und Natur. Ein Camper ca. 100 Meter von uns entfernt, hat sein Auto lustig mit einer Lichterkette geschmückt. Die Sonne, als wolle sie mit den tausenden von Weihnachtslichtern auf der Welt nochmals um die Wette streiten, schickte ein tiefrotes intensives, extrem lange anhaltendes Abendrot über unsere Bucht und das weite flache Land.

 

Es wird jeweils schnell dunkel, wenn die Sonne über Australiens Horizont sinkt. Die Lichterkette unseres Nachbarn gewinnt an Intensität, blinkt und leuchtet nun intensiver in die einkehrende Nacht.

 

Vor etwa 2 Stunden hat die Flut eingesetzt. Der Wasserstand in der Bucht steigt langsam aber stetig an und setzt die Mangroven in Ufernähe bereits unter Wasser. Kleine Wasserarme bilden sich, enden in der späten Nacht etwa 10 Meter von unserem Auto entfernt. Am Morgen kurz vor 7 Uhr wird die Low Tide einsetzen.

 

Der stetige Wind streicht während dem Abend durch den kargen Bush und hinterlässt sein so spezielles einzigartiges Geräusch, wenn er durch Blatt- und Nadelwerk streift. Die Stirnlampe beleuchtet die aufgeschlagenen Seiten im Buch, lesen, doch immer wieder den Blick über die der Nacht verfallende, leise, stetig rauschende Bucht.

 

Früh zu Bett, es gab keine Geschenke zu öffnen – solche Tage - Abende sind Geschenk genug und alles Materielle erscheint in solchen Momenten so verschwindend klein.   

 

Ein bisschen Abenteuer muss sein

 

Nicht alle unsere Entdeckungsfahrten sind von Erfolg gekrönt! So suchen wir ein kleines Bushcamp im D’Entrecasteaux Nationlpark, sind spät dahin unterwegs. Wir wollen am Meer übernachten, der Beschrieb des Camps weckte unsere Neugier. Einsam, direkt am Meer, stahlblaues Wasser, die Brandung etwa 50m vor der Küste, nur für 4x4 Fahrzeuge geeignet. Zwei Strassenkarten sollen uns den genauen Weg weisen, aber die Strassenkarten in Australien sind oftmals ungenau und eine jede erzählt leicht unterschiedliche Geschichten. Müde, die x-te Strasse gefahren, wir wissen schon lange nicht mehr in welcher Richtung das Meer liegt. Wir versuchen die Sonne durch das dichte Blattwerk zu erspähen, soll uns eine Idee liefern in welche Richtung wir fahren. Die Strassen werden schmaler, Buschwerk kratzt auf beiden Seiten am Auto entlang und 4x4 ist gefordert und von Nöten! Alle paar hundert Meter zweigen noch kleinere, schmalere Strassen in den dichten Busch ab. Bereits unsere Strasse, eher breit, ist schon lange nicht mehr verzeichnet und auf den Karten auffindbar. Kilometer reit sich an Kilometer, Beifahrerin leicht nervös, Chauffeur mit angespannter Mine.

 

Die Sonne scheint bald Feierabend machen zu wollen, schickt nur noch flache Strahlen übers Land. Irgendwann kapitulieren wir, machen uns Sorgen den Weg morgen früh zurück zur Hauptstrasse nicht mehr zu finden. Wir suchen einen möglichen Wendeplatz auf der schmalen Strasse. Ist nicht so einfach, denn die Büsche stehen unglaublich nahe der schmalen Fahrrinne, hartes, kratzendes Buschwerk. Nochmals etliche Kilometer gefahren bis wir wenden konnten. Wir fahren einige Kilometer auf dem Weg zurück, stellen aber irgendwann unser Auto einfach auf dem schmalen Weg ab.

 

Mitten im Nirgendwo übernachten wir, keine Ahnung wie weit vom Meer, der nächsten Hauptstrasse, dem gesuchten Rastplatz entfernt. Die Strasse seitlich abfallend, so kommt die Sandschaufel zum Einsatz, wir wollen bequem in unseren Betten liegen. Der Duschsack wird gleich neben dem Fahrzeug aufgehängt, das Wasser eher kühl, aber nach solch langen Tagen ist eine Dusche immer eine willkommene Erfrischung. Die Küche bleibt heute geschlossen und so geniessen wir aus der Kühlbox Cracker’s fein belegt mit salziger Butter, Trauben, feiner Käse und als krönender Abschluss ein feines Tim Tam mit Double Cream! Lesen, Sudoku und Kreuzwort Rätsel lösen vertreiben die Zeit bis zum Schlafen!

 

Die Nacht ruhig, leiser Wind in den Bäumen und Büschen und mit Vogelstimmen durchzogen. Der fast volle Mond der über uns wunderbar wachte. Herrlich geschlafen, nein, in solchen Momenten nervös zu sein haben wir uns abgewöhnt und nach einem feinen Chai Latte uns zurück auf den Weg gemacht.

 

Wir brauchten mehr als zwei Stunden und fast 100 gefahrene Kilometer bis wir wieder auf einer asphaltierten Strasse ankamen. Und wir kamen nicht dort an wo wir eigentlich gerechnet hatten! Bis zur nächsten Ortschaft dauerte es dann nochmals fast 50km!

 

Ich verstehe ihn gut!

 

 

Ein pensionierter Australier setzt sich spontan zu uns, Campingstuhl und Rotwein Glas in der Hand und mit der so typischen lockeren Art eines Australiers beseelt. Er sei mit 20 Jahren aus Holland ausgewandert und hätte nie das Bedürfnis verspürt nach Europa zurückzukehren. Seit 6 Jahren frühpensioniert, keinen festen Wohnsitz, reisen und unterwegs sein solange es seine Gesundheit erlaubt. Er ist 69 Jahre alt und wünscht sich noch gut 10 Jahre mit seinem Camper unterwegs zu sein.

 

Wir sprechen über Gott und die Welt, landestypische Begebenheiten, Politik und Arbeit. Wir haben Zeit, verstehen uns gut, sein grosses Rotwein Glas wird Richtung Sonnenuntergang hin leichter. Ich spüre bei ihm eine grosse Zufriedenheit wie sein Leben sich ihm gezeigt, die Entscheidungen die er getroffen hat mehrheitlich positiv waren. Einzig beim Thema Schule, verbunden mit Ausbildung und der Pensionierung da wird seine Stimme laut, «Shit» gesellt sich zu seinem Wortschatz, da gerät er in Rage.

 

Welch eine Idiotie junge Menschen die fit sind, noch wenig bis keine körperlichen Beschwerden aufweisen in die Schulbänke zu drücken, statt ihre körperliche Arbeits- und Lebenskraft, die von 18-35 Lebensjahre am grössten ist, gezielt zu nutzen. Statt dessen wolle man in Australien das Pensonierungsalter von jetzt 66.5 auf 70 Lebensjahre anheben. Das Durchschnittsalter in körperlich anstrengenden Berufen wandere unweigerlich in Richtung Pensionierungsalter und junges gut ausgebildetes Personal wolle keine körperlich fordernden Arbeiten mehr verrichten. Nur noch Bürojobs und Verwaltung, Sitzen von Morgen bis Abend in klimatisierten Räumen. In Alters- und Pflegeheimen sei der Altersdurchschnitt der Pflegenden zum Teil nur noch 10 bis 15 Jahre unter dem der Bewohner.

 

Er bringt noch etliche weitere Beispiele und noch immer verstehe ich ihn gut und denke bei mir…. Australien liegt doch nicht so weit von der Schweiz entfernt!  

 

Fernweh

 

Der Flug nach Cairns dauert fast 19 Stunden. Bis Singapur mit einer Boeing A380, ab Singapur in einer kleinen Maschine der Silk Air.

 

Ein langer Flug, gewollt, geplant, erarbeitet, für mich ökologisch vertretbar. Ich geniesse jede Minute des Fluges, meinem Glück aber auch Willen auszutreten aus Gewohntem geschuldet und bewusst. Ein solch langer Flug, trotz günstiger Economy Klasse, eine reine Einstellungssache, danach warten drei Monate Auszeit! Ich nenne es mein Glück, so etwas erleben zu dürfen, bin aber auch dankbar den Mut dazu zu besitzen! Mein Mobile zu Hause gelassen, keine Uhr am Handgelenk.

Eine Auszeit auch vor den so wichtig erscheinenden Dingen wie WhatsApp, Facebook und anderen so intelligenten digitalen Medien. Ja, es lässt sich wunderbar ohne leben! Den Blick mehr gegen innen auf sich selber gerichtet, statt Big Brother zu spielen und mit Füssen auf dem Sofa und Getränke Dose in der Hand auf die Welt zu schauen und zu schimpfen.

Foto- und Filmkamera hat Silvie bereits seit zwei Monate in Port Douglas mit dabei. Das brauchen wir, Erinnerungen auch auf Bild und Ton festhalten!

Silvie am Flughafen in Cairns herzlichst in die Arme geschlossen. Tief empfundener Stolz was sie die letzten zwei Monate in der ungewohnten Umgebung gemacht und mit Sicherheit als erwachsene Person bewusster und stärker hat werden lassen. Solche Veränderungen brauchen Mut, Willen und kosteten sie einige Tränen.

Es ist gegen Abend und ein warmer Wind weht über den grossen Parkplatz vor dem Flughafen in Cairns. Vogelstimmen aus dem nahen Baum wo wir zum Auto schlendern. Ich bleibe einfach stehen, stelle meinen Rucksack ohne ein Wort, fast unbewusst vor mich hin. Den leicht salzigen Wind über mein Gesicht streichen lassen, den fremden und doch so typischen Duft einatmen, meine Augen geschlossen. Diesen Moment, diese Sekunden brauche ich ganz einfach für mich! Die so typische Stimme jenes australischen Vogel’s, diesen Duft, den warmen Wind Australien’s und meine Füsse auf dem Boden der seit Jahren mein Fernweh weckt und ruft. Ein Moment wo meine Augen echt feucht werden. Silvie versteht, schenkt mir diesen Augenblick, steht einfach leise daneben.

 

Fernweh, eigentlich gekommen um es hier abzulegen und ich weiss bereits jetzt, es wird mich weiterhin begleiten, selbst auf dieser Reise, selbst in diesem Land welches mein Fernweh trägt!

 

Der Abend

Ein Abend irgendwo draussen im weiten, einsamen australischen Busch. Die Sonne hat ihr Tagwerk vollbracht, letzte farbige Strahlen wandern über das Land. Die Strasse die uns hierhin führte war lange, staubig, hineingepflügt in die raue, rote Erde. Der Mond steht bereits als leuchtende, schmale Sichel am Sternenzelt. Sterne wie Glühwürmchen ans schwarze Firmament geheftet. Das Himmelszelt scheint bis zum Horizont hin gespannt, sanft ausgeleuchtet. Die Milchstrasse ein unstetes, helles Band am Nachthimmel sichtbar. Die aufsässigen Fliegen haben sich zur Ruhe gelegt, doch Mücken ersetzen sie, suchen nach unbekleideten Körperstellen. Grillen schicken ihr Zirpen durch die Dunkelheit, ein für mich beruhigendes, stetes Konzert. Wind der leise durch die Gegend streicht, an Büschen und Ästen sich verfängt, sanftes Rascheln aus Zweig- und Blattwerk.Die Kerze neben dem Campingstuhl, ein stetig Flackern, zitronenfeiner Duft. Keine andere Lichtquelle so weit das Auge reicht, kein Geräusch, nur die Bescheidenheit einer sich zur Ruhe legenden Nacht. Dunkel, gewaltig, imposant, grossartig!Eine Stille so gewaltig, dass sie fast in den Ohren schmerzt. Hinsetzen und dem Wenigen, das doch so viel ist lauschen, einatmen, spüren und fühlen. Worte so überflüssig, wo Schweigen, Zuhören und Lauschen mehr erzählt als tausend Worte. Die Stille und Du. Nicht einfach diese Ruhe zu ertragen, denn es kann ein Gedanke dich überfallen, den du in dieser Ruhe und Bescheidenheit mit dem Wenigen was dir in diesem Moment Mutter Natur schenkt, erkennen, annehmen, auseinandersetzen und ertragen musst. Du und jene Gedanken in dieser Natur befohlenen Ruhe. Du blickst gegen den Sternenhimmel fühlst dich einzig, gross und doch so unglaublich klein und bescheiden in deinem Campingstuhl. Es sind der Gedanken viele die dir in solchen Momenten durch den Kopf fahren! Schöne, belastende, freudige, traurige und erfüllende Gedanken.Rückblickend betrachtet sind diese abendlichen Gedanken wie der stete Wind, leise durch meine Gedankenwelt gerauscht, durchgewandert in die Weite, die erfüllende Stille und das Leuchten jener dunklen Nacht, in die Einsamkeit des Seins, der Dunkelheit. Die Gedanken entlassen ohne dass sie mich berührten, nur anklopfen lassen, sie angenommen, betrachtet und sie in dieser Ruhe aus meinem Kopf, meinem Herzen, meinem Denken entlassen, ihre Freiheit zurückgegeben, ihrer Wege friedlich ziehen lassen. Meine Gedanken frei, offen und sanft wie die zur Ruhe kommende Nacht.